Forschungswerkstatt des Instituts

"Jenseits der Schwerkraft "

Ansprechpartner: Dr. Mordvintsev

Der Zwang der Schwerkraft

 Die Schwerkraft wurde im Jahre 1666 von Isaac Newton in seinem Heimatort Woolsthorpe entdeckt, und sie schien nicht nur in Woolsthorpe zu wirken. Im Jahre 1687 postulierte Newton sein allgemeines Gravitationsgesetz. Im Buch das „System der Welt“ kommt er zu dem Schluss, dass es eine alle Körper erfassende Gravitationskraft gebe, die proportional zu den einzelnen Materiemengen sei, die sie enthielten und umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands zwischen zwei Körpern sei. Diese Entdeckung bildete bis zum Ende des 19. Jahrhunderts das Programm jeglichen theoretisch-physikalischen Forschers, wobei alles physikalische Geschehen auf die Massen zurückgeführt wurde, die Newtons Bewegungsgesetzen unterworfen sind.

 

Die Massen scheinen also mit einer Anziehungskraft aufeinander zu wirken. Diese Kraft soll aber ziemlich sonderbar sein. Sie ist einerseits eine sehr schwache Kraft, so kann ein kleines Kind sein Spielzeug gegen die Schwereanziehung der gesamten Erde anheben, andererseits bestimmt die Gravitation die Entwicklung des Universums und lässt die Planeten um die Sonne kreisen.

Nach dem Newtonschen Gravitationsgesetzt hängt die Größe der Anziehungskraft von der Entfernung zwischen zwei Objekten ab. Wenn eines der Objekte sich bewegt, müsste sich die Schwerkraft, die auf das andere Objekt einwirkt, sofort verändern, also müsste sie mit einer unendlichen Geschwindigkeit wirken können.

Wie können die Massen bloß so schnell aufeinander wirken? Und warum fallen unter Einwirkung dieser Kraft alle Körper, unabhängig davon wie groß ihre Masse ist, gleich schnell? Oder warum ziehen sich Massen nur an und stoßen sich nicht ab, wie das bei elektrischen Kräften der Fall ist? Und außerdem kann man die elektrischen Kräfte auch ohne weiteres abschirmen, aber die Anziehungskraft scheint alles zu durchdringen.

 

Bis heute noch bilden Newtons Entdeckungen im Allgemeinen die wissenschaftliche Grundlage des modernen Weltbildes (Hawking 2004, S. 630). In diesem Weltbild macht die Anziehungskraft die Dinge schwer, erzeugt Gewicht und Widerstand und wirkt erschöpfend. Sie „bewacht“ das menschliche Bewegen, macht es mühsam und schwierig. Man muss sich ständig abmühen um gegen die und trotz der Schwerkraft vorwärts kommen zu können. Wir sind dann nur in dem Maße frei, wie wir uns gegen und trotz dieser Kraft bewegen können. Damit ist die Bewegung als Trotz und Anstrengung, als Überwindung und ständiger Kampf zu  begreifen. Man erpresst die Leistungen, macht Weggewinne, erringt Resultate. 

 

In diesem Weltbild gibt die Schwerkraft uns Bodenhalt. Unser Standpunkt (Bodenkontakt) wird oft als Ruhestand und Ausgangspunkt für unser Bewegen empfunden. Die Schwerkraft aber droht uns diesen sicheren Ausgangsplatz auf der Erde zu entziehen und uns in einen mit Angst beladenen „Schmerz-Fall“ zu stürzen, sie droht uns mit einer beängstigenden Ortsveränderung. Die Schwerkraft zieht uns und stützt uns gleichsam ab, sie behindert, ermöglicht aber auch die Bewegung, gibt uns Halt zum Abdrücken, zum Fortbewegen. Ohne sie würden wir in diesem Weltbild irgendwo im Raum schweben und unsere Fähigkeit zur Fortbewegung verlieren.

 

Auf uns wird in dem von der Schwerkraft geprägten Weltbild ständig eine Kraft ausgeübt, der zu entfliehen für uns unmöglich ist. Man könnte fast sagen, dass wir ständig unter Kontrolle, unter Zwang einer Kraft sind, die uns ständig linear klare Vorgaben erteilt. Man kann sich ihrer überwachenden Anwesenheit nicht entziehen, sondern ihr nur trotzen. 

 

Wir haben gelernt, uns diese Kraft zu Nutze zu machen, mit großer Vorsicht, die leicht in Angst übergeht. Wir träumen auch ab und zu dem Zug der Schwerkraft zu entkommen und fliegen zu können, sich nur mit der Kraft eines Gedankens im Raum frei und leicht bewegen zu können. Aber wie unmöglich und illusorisch dieser Wunsch in dem von der Anziehungskraft geprägten Weltbild erscheint.

 

 

Relativitätstheorie und menschliche Bewegung

 

Die Gravitationstheorie Newtons bildet bis heute noch die Grundlage unseres Weltbildes und gilt als eine für praktische Zwecke und alltägliche Situationen leichte und brauchbare Theorie. In ihrem Weltbild wirkt auf uns im Ruhen sowie bei der Bewegung ständig eine Schwerkraft, der zu entfliehen für uns unmöglich ist. Wir sind damit ständig unter Kontrolle, unter dem Zwang einer Kraft, deren überwachenden Anwesenheit man nicht entfliehen, sondern der man nur trotzen kann. Diese Kraft ist ein allgegenwärtiger Akteur, der die Gegenstände und den Körper „von Außen“ in Bewegung setzt.

 

Die Vorstellung der Schwerkraft ist unzertrennlich mit der Vorstellung eines „Außen“, eines absoluten Raumes, einer Art Bühne für den Auftritt der Schwerkraft, verbunden und mit der daraus folgenden Vorstellung der Bewegung als einem Ortswechsel. Diese Bewegung ist dann eine Bewegung, die „von dem absoluten Raum aus“ gesehen wird, in diesem „Außen“ stattfindet und von einer äußeren Kraft determiniert wird.

 

Die Vorstellung der Schwerkraft und die damit unzertrennlich verbundene Vorstellung des absoluten Raumes verführt uns zu einem Machen im Raum, durch den Raum und zu einem Sich Behaupten gegen die Schwerkraft in einer trotzigen Haltung und Bewegung. Die in dieser Vorstellung ausgeführte Bewegung wird zwangsläufig von einer Überanstrengung begleitet werden.

 

Gewicht, Raum und Zeit sind in der Empfindung unzertrennlich miteinander verbunden. Am besten ist die Zeit zu fühlen, wenn man ein Gewicht in der Hand haltend, den Arm weg von dem Körper streckt und in dieser Stellung etwas verweilt. Das Wort „dauern“ bedeutetet etymologisch unter anderem auch „ich lege einer Sache Gewicht bei“ (Kluge 1999, S. 164). Durch die Anstrengung verbinden sich Zeit, Raum und Gewicht zu einer Empfindung der Getrennt- und Gerichtetheit. Die mechanische Theorie bestätigt sich damit, so nachweisbar im Empfinden, als eine praktische und reale Theorie und fördert ihrerseits die Getrenntheit, die Zerfahrenheit im Geistigen, wie im Körperlichen.

 

Die Vorstellung und das Empfinden der Körperteile sind also an die Anstrengung und das Empfinden eines Gewichtes gebunden. Ein leichtes, ökonomisches, hubfreies Bewegen wird in der Wahrnehmung einem schwebenden, erlösten „Zustand“ ähneln, der von der Wahrnehmung eines geteilten Körpers befreit ist.

 

In der vorgeburtlichen menschlichen Bewegungsentwicklung scheint die Schwerkraft nicht wirksam zu sein. Diese Entwicklung geschieht in einem getragenen, dem Schweben ähnlichen Zustand, wobei jedes Bewegen des Fötus von der Flüssigkeit getragen wird. Auch der Säugling lernt erstaunlich bald sich weich, leicht, sicher und harmonisch zu bewegen. Die gesunden Kleinkinder bewegen sich auch in diesem Gefühl des Vertrauens, wo jedes Bewegen leicht und getragen geschieht. Diese mühelose Beweglichkeit rät dem Kind ab, etwas zu machen, was unnötige Anstrengung verlangt, sie ist nicht bereit etwas Unnötiges mitzutragen, Schweres auf sich zu nehmen. In dieser für die Gesamtentwicklung grundlegenden Zeit wird also nicht die Fähigkeit „sich gegen die Schwerkraft zu behaupten“ wachsen (im Fall einer optimalen Anpassung), sondern die Fähigkeit, in einem getragenen Zustand (selbst ohne umhüllendes Wasser) zu bleiben und sich zu bewegen, nicht gestört.

 

Ein dem Schweben ähnelndes Erlebnis kommt einem als trügerisch, sogar als unmöglich im Weltbild der Schwerkraft vor, nicht aber in der Einsteinschen Interpretation des Gravitationsphänomens. Für einen frei fallenden Beobachter gibt es nach Einstein keine Schwerkraft. So werden wir im freien Fall nicht durch Wirken einer Kraft zum Boden hin gezogen, sondern wir befinden uns in einem harmonischen Zustand der Ruhe, einer Abwesenheit jeder auf uns wirkenden Kraft. Die Vorstellung des freien Falles als einer ortsverändernden Bewegung ist damit eine unnötige Verkomplizierung, eine umständliche Beschreibung der Ruhe. Wenn wir auf dem Boden stehen, dann ist es der Boden, der sich auf uns mit einem „Kraftschritt“ zubewegt und uns von der Ruhe des freien Falls „abhält“.

 

Bei jeder menschengerechten Umerziehung im Bewegenlernen muss zunächst die Anstrengung beim Bewegen verringert werden. Es ist dabei unentbehrlich einen getragenen, vertrauenschenkenden Zustand zu erleben, der jede gewöhnlich gewordene Anstrengung in der Stille dieses Gehaltenwerdens auffallend werden lässt. In diesem getragenen Zustand  kann man sich langsam das leichte Bewegen wieder erarbeiten.

 

Unsere Raumvorstellung, die Vorstellung der Bewegung als Ortswechsel und der Schwerkraftglaube formen unseren Verstand und unseren Leib und beeinflussen die Fehlanpassung. Die formende Wirkung der mentalen Vorstellung der Bewegung deutet auf die fast physiologische Notwendigkeit einer geistigen Haltung, der Haltung des Vertrauens, Überlassens- und Ruhenkönnens, einer Haltung „aus einem Guss“. 

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